Engagements in einer Kleinstadt? Wenig von allem. ODER: Wenn der Horizont am Berg endet.

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Heute beschreibe ich meine ganz persönlichen Erfahrungen und Learnings darüber Neu zu sein: Vom mehrmaligen beruflichen Start, den ersten Malen “arbeiten zu gehen”, immer wieder neu anfangen zu müssen, enttäuscht zu werden und sich über die Maßen zu engagieren; Nur um festzustellen, dass man Neues gar nicht mag und man vor Ort (in meinem Fall: Innsbruck) nicht weiterkommen kann.


Gerade als Junior, weiß man kaum, was man von Arbeitgebern, den Teams und dem beruflichen Umfeld erwarten kann. Man weiß kaum, wann es Zeit ist, sich etwas Neues zu suchen. Als Neuling ist man außerdem ein bisschen unfrei: Denn man zahlt viel Miete und es gibt wenig Gehalt. Dies kann einem die Chance nehmen, sich in verschiedenen Jobs auszuprobieren, diese abzulehnen oder sich gar einer neuen Stadt zuzuwenden. Doch eines nach dem anderen…


Stundenweise verbunden

Kenne ich, “Gestaltung”, “Design” und “Arbeit” als identitätsstiftend, als interative Exploration, funktional und als Teamübung, so war die kleine Agenturwelt Innsbrucks dahingehend, ein Schock. Oder schlimmer: lahm. Photo by Nick Fewings on Unsplash

Wie angedeutet, dachte ich anfangs, ich finde z.B. Anschluss durch Team-Kolleg|innen in den Agenturen, möglicherweise privat, aber auf jeden Fall beruflich. Natürlich ging es hauptsächlich um die Arbeit. Doch darüber hinaus machte ich Cupcakes, teilte mein Wissen um neue Tools & Methoden, lud zum Abendessen, initiierte Wanderungen und Abende in den Bars von Innsbruck. In den kleinen inhabergeführten Agenturen waren jedoch alle “von hier” und auch meist mit sich oder der Arbeit beschäftigt. Sie waren ausreichend “versorgt”. Deutlich spürbar, waren sie nie irgendwo neu gewesen oder hatten Anschluss gesucht. Und ganz offenbar bestand kein Interesse an Neuem. Oder mir.

Der spürbar geringe professionelle oder interkulturelle Austausch sorgte auch bei der täglichen Arbeiten für interessante Phänomene: Man war beim Design verklemmt, ein Studienabschluss wurde gering geschätzt, man reproduzierte und kopierte statt zu innovieren. Auch Home Office, eine freie Arbeitszeit-Einteilung, agile oder verbindliche Arbeitsmethoden/-prozesse, Weiterbildungen, Zielgespräche oder gar flache Hierarchien, waren kaum verbreitet. Und manche der Agentur-Patriarchen galten weithin sogar als Despoten.


Wenig von Allem

Einstweilen gefangen, begriff ich nach und nach, wie eng die Stadt war, und vor allem was das beruflich bedeutete: Wenige Bewohner|innen hieß, wenige Menschen für individuelle Hobbys, Freundschaften bzw. das typisch-österreichische “Vitamin B”. Viele Studierende, aber keine Gestaltung-Studiengänge bedeuteten, kaum jemand hat professionell gelernt oder gelehrt, was in den Agenturen angewandt wird. Wenige Gestalter|innen hieß, keine oder kaum Veranstaltungen, Netzwerke und Austausch für Kreative. Wenige Bewohner bedeutete auch, einen kleinen und umkämpften Markt für kreative Dienstleistungen. Ein überschaubarer Markt hieß, kaum eine Auswahl bei Arbeitgebern, Projekten und Kunden; Oder Gehalt. Und viele, aber kleine Agenturen hieß, wenig Chancen auf Eigenverantwortung.

Irgendwie passte der Schuh nicht recht: Die Agentur-Branche war überschaubar, überaltert, voller Egos (schon mal “Mad Men” gesehen?) und ohne ein gewisses Selbstverständnis von gestalterischer Identität und Arbeit. Potenziell auch logisch, wenn das Angebot zur beruflichen Aus-/Weiterbildung noch in den Kinderschuhen steckte: Es gab schließlich keine Kreativ-Szene, Meet-Ups, Barcamps oder irgendetwas Internationales. Die Leute der Werbe-/Design-Szene hatten kaum studiert und je woanders oder gar außerhalb der Region und des Tourismusmarketings gearbeitet. Es gab einfach keine Plattform für professionellen Austausch der Innsbrucker Gestalter|innen. Eine Haltung zur eigenen Arbeit und Aufgabe konnte sich so nicht entwickeln und war auch nirgends spürbar.


Sich befreien

Schon immer selbstständig gewesen, machte ich mich also nach einiger Zeit ganz frei aus der Anstellung und arbeitete national. Das eigene Auskommen oder nächste Karriereschritte wären zu meinen Bedingungen vor Ort nicht möglich gewesen. Ist man nicht direkt in der Tourismusbranche angestellt, möchte man kein Marketing für Hotels, Biere und die Wirtschaftskammer machen oder kennt jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt… Naja, die Zeiten waren hart und lehrreich. Und doch hatte ich, dank entsprechender Qualität und ein wenig Vitamin B, bald eigene Kunden aus den Bereichen IT und Services, Data Security, Banken und Gesundheitswesen. Ich arbeitete für ehemalige Arbeitgeber, doch knüpfte auch Kontakte in die Start-Up-Szene und bot Design- und User-Centric-Beratung an den Unis.

Ich sparte, ich probierte mich aus, ich scheiterte mal und doch – ich hatte ein Ziel: Weg- und weiterkommen. Ich hatte final erkannt, dass Innsbruck zu klein für mich und meine Ambitionen ist. Ich brauchte etwas Neues, Größeres, Internationales, belastbare und verlässliche Arbeitsprozesse. Und ich wollte wieder in einem Team arbeiten.

Relativ bald, war die Stadt mit kleinen Projekten in kleinen Agenturen zu wenig. Ich machte mich frei und suchte Alternativen außerhalb. Photo by Arie Wubben on Unsplash

Tipps und Learnings: “Willkommen sein und sich entwickeln”

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man sich als Designer|in verschiedentlich ausprobiert und dabei auch mal in eine andere Stadt zieht. Ich mach(t)e mir dabei vorab ein paar mehr Gedanken zu meinen Zielen und Wünschen hinsichtlich des neuen Standorts und worauf ich bei meiner neuen Arbeitsumgebung Wert lege. Ich habe gelernt aus den ersten beruflichen Jahren.

  • Basierend auf meinen Erfahrungen sind für mich heute u.a. entscheidende Fragen bezüglich eines potenziellen Standorts: Wie wirtschaftlich stark sind welche Branchen und Industrien? Gibt es entsprechend potenzielle Arbeitgeber|innen? Wie viele? Lässt deren Größe und Organisation meine Karriere- und Wachstumswünsche zu?
  • Für Jemanden der meist zugunsten eines “besseren” Jobs umzieht: Ich suche mir, wenn möglich, eine Firma mit Willkommenskultur. Diversität in der Arbeitsumgebung kann man abfragen, z.B. bei Bewerbungsgesprächen, oder sich zeigen lassen, z.B. bei einem Probearbeitstag oder innerhalb eines Freelance-Projekts: Was stellt sich die Firma unter einem Onboarding vor? Wie sieht die Einarbeitung aus? Gibt es z.B. eine|n Newbie-Buddy? Gibt es Corporate Werte, werden diese trainiert und wie siehts damit im Projektalltag aus? Gibt es eine Feedback- und Fehlerkultur?
  • Natürlich reist man auch mal zu größeren Veranstaltungen in andere Städte, z.B  bei Konferenzen, Barcamps und Trainings. Aber für den Alltag ist es hilfreich, wenn es vor Ort viele, unterschiedlichste, informelle Rahmen für Kreative gibt. Niedrigschwellige und kostenlose (oder -günstige) Angebote, wie z.B. Meetups, Lesungen und Designforen fördern den Austausch und das Lernen vieler, auch junger, Designtalente- und interessierte. So lässt sich netzwerken und gemeinsam über eine gewisse Haltung überhaupt erst nachdenken.
  • Ein kleiner Pluspunkt, aber nicht leicht greifbar, ist für mich außerdem jene stimulierende und wertschätzende Umgebung in einer Stadt, welche gestalterische Studiengänge bietet und einen offenen Austausch damit pflegt. Oft ist das alltägliche Sehen oder Erleben von hoher gestalterischer Qualität (vom Flyer oder Corporate Designs, hin zu den städtischen Orientierungssysteme oder Installationen an öffentlichen Orten). Denn nicht nur bei den regelmäßigen Semesterausstellungen der Universitäten oder Hochschulen, auch durch einen Austausch (Praktika, gestalterische Aktionen in der Stadt) zwischen Studierenden, ortsansässigen Agenturen /Corporates, schult sich die Wertschätzung und das Auge für “gutes Design” einer ganzen Stadt und ihrer Einwohner|innen.

Don’t stop me now

Potenziell hätte ich nach einiger Zeit Selbstständigkeit, mein Gewerbe vielleicht vergrößert, doch dem Berg an Herausforderungen war ich nicht gewachsen: Der Tiroler Markt war zu klein, ich war das Reisen leid, ich wollte nicht selbst ausbilden müssen und nicht eine ganze Szene in einer Stadt aufbauen. Zumal man Neuem ja wirklich nicht offen gegenüber stand. Ich war es leid. Ich war müde und hungrig zugleich. Ich suchte diesmal keine Heimat oder Freunde, wohl aber eine Arbeitsstätte (und damit Stadt), die mich willkommen heißt. Gesucht, gefunden.

Erkenne ich heutzutage, auch in meinem beruflichen Wirkungskreis, “Neulinge” so bin ich besonders einladend und teile mein Netzwerk und Wissen. Ich gehe mit ihnen Mittagessen, mal auf einen Kaffee und positioniere mich persönlich und einladend; sei es bei der abendlichen Happy Hour in der Firma inklusive Vorstellungsrunde, der Tipp für ein gutes Restaurant oder Hilfe bei Prozessen und Organisatorischen rund um die Arbeit.

Weil wir doch alle mal neu waren…

Naja außer vielleicht manche Tiroler|innen 😉